Eine wichtige Szene in Flore Vasseurs Film „Bigger Than Us“ ist diejenige, in der die Protagonistin der Geschichte, die junge Aktivistin Melati Wijsen, im Libanon mit den Schülern der Mohamad Schule für Flüchtlinge darüber spricht, wie Veränderung beginnt. Sie zeichnet ein Strichmännchen auf die weiße Tafel und sagt. “Es beginnt mit einer Person, die spricht.” Sie zeichnet weitere Menschen und zeigt so die Kettenreaktion. Die Szene will zeigen, dass alles mit einer Person beginnt.

Es ist dieser Augenblick, der Flore Vasseur, Regisseurin und Produzentin des Films, verkörpert. Eine Frau, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Geschichten zu teilen, in denen Menschen zu sprechen beginnen. Eine Mutter, die ihr Bestes tut, um dafür zu sorgen, dass ihre Stimme nicht nur plätschert, sondern eine Welle erzeugt.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat es sich die gebürtige Französin zur Lebensaufgabe gemacht, den Grundsatzfragen nachzugehen, die an der Struktur unserer Gesellschaft zerren. Sie wirft ein Licht auf diejenigen, deren Geschichten und Ziele den Zeitgeist prägen, beginnend bei bekannteren Namen wie dem Whistleblower Edward Snowden bis hin zu Aktivisten wie den sieben jungen Changemakern aus aller Welt. Deren Leidenschaft und Ziele bilden die Grundlage für ihren neuesten Film „Bigger Than Us“.

Flore war nicht immer auf diesem Pfad. Wie bei vielen gab es auch bei ihr einen Wendepunkt im Leben, der sie für immer veränderte. Die erfolgreiche Unternehmerin ritt auf der Welle der Internetblase und hatte ein florierendes Marketing Beratungsunternehmen in New York City. Je mehr sie arbeitete, desto mehr fühlte sie sich abgetrennt, setzte aber dennoch den Weg fort, der vor ihr lag. Es folgte der 11. September. Ihr damaliger Freund sollte in einem der Türme sein und Flore erlebte die ganze Tragödie aus unmittelbarer Nähe.

“In diesem Moment wurde mir deutlich, dass die Richtlinien, die ich befolgt hatte, für mich falsch waren. Sie waren für die gesamte Menschheit falsch. Die Idee, um jeden Preis der Beste, der Wettbewerbsstärkste, der Reichste zu sein, hat uns umgebracht”, erklärt Flore. “Als ich an diesem Tag auf einem Dach stand, wusste ich, dass sich für mich ein Tor auftat, durch das ich aus dieser Sackgasse entkommen konnte. Und ich wollte es durchschreiten.”

Seitdem versucht Flore zu verstehen, woher die Bedrohungen wirklich kommen. “Was, ist es, was wir in die Welt senden und das in Form einer Bombe zurückkommt? Wer sind diese Bomben? Sind wir die Bomben?” Flore reflektierte, “Meine ganze Arbeit bestand darin, diese Fragen zu beantworten.”  

Sie schloss ihre Firma in New York und zog zurück nach Frankreich. Sie begann ihre Suche nach Antworten, indem sie Belletristik über das schrieb, was sie über unser System verstand. Dabei teilte sie Geschichten über Menschen, denen sie begegnete. Im Jahr 2016 führte ihre Arbeit mit den Aktivisten Birgitta Jonsdottir und Larry Lessig dazu, dass sie nach Moskau reiste, um den Dokumentarfilm „Meeting Snowden“ zu drehen.

Ihre Begegnung mit Snowden war die Inspiration für die Gründung ihrer Produktionsfirma Big Mother Productions. Nach der Zusammenarbeit mit dem Whistleblower hatte Flore die Idee, dass wir als „große Mütter“ gegen die Überwachung durch Big Brother kämpfen müssen.

“Wir müssen uns Gedanken über die Menschen in unserer Umgebung und unsere Umwelt machen. Sie müssen wir schützen, nähren und ihnen sichere Räume schaffen”, erklärt Flore. “Der Firmenname richtet sich gegen den Trend der “Big Brother”-Gesellschaft, aber er spricht für unsere Position in dieser Welt und für das, was ich als Mutter, als Frau zu tun versuche. Ich versuche, das Leben auf die oberste Stelle zu heben, indem ich mich bemühe, anderen zu helfen, sich zu entwickeln. Alles Dinge, die Mütter tun.”

„Bigger Than Us“ wurde aus Flores Rolle als Mutter heraus geboren. Im Jahr 2016 stellte ihr damals siebenjähriger Sohn die Frage: “Was heißt, der Planet wird sterben?” Das daraus resultierende Gespräch und das Gefühl, nicht in der Lage zu sein, die Fragen, die er stellte, richtig zu beantworten – darunter auch “Was tust du, um den Planeten zu retten?”, in Verbindung mit einem zeitgleichen Auftritt des TED-Talks von Melati und Isabel Wijsen, zwei indonesischen Aktivistinnen, die die folgenschwere Aufgabe übernahmen, Plastiktüten auf der Insel Bali zu verbieten (im Alter von nur 15 bzw. 12 Jahren) – führte zu ihrer nächsten Filmidee „Bigger Than Us“.

Dies drückt Flore anlässlich eines Interviews über den Film sehr schön aus: “In diesem Moment kreuzte sich mein Weg mit dem der Genialität der Kindheit. Derjenigen meines Kindes. Alles beginnt mit einer großen Frage. Wir Erwachsenen verpassen sie meist. Wir fragen uns nicht mehr”, sagt Flore. “Ich liebe diesen Satz des polnischen Kinderarztes Janusz Korczak, der mich sehr inspiriert hat:

‘Um auf das Niveau eines Kindes zu kommen, muss man sich auf die Zehenspitzen stellen’.”

Der Film spricht eine Reihe sozialer Themen an, bei der der Klimawandel eine zentrale Rolle spielt. Auf persönlicher Ebene strebt Flore an, Flugreisen, Autofahrten, den Verzehr von Fleisch und neuer Kleidung auf ein Minimum zu reduzieren, um unseren Planeten zu schützen. Sie stellt ihr eigenes Waschmittel und ihre eigene Zahnpasta her (nur so zum Spaß) und ist immer auf der Suche nach Alternativen zu Plastik, auch wenn es um Plastikflaschen für Shampoo und Haarspülung geht.

“Ich habe Respekt vor meinem Haar, deshalb überlasse ich die Herstellung von Shampoo den Profis”, scherzt sie.

Die bewusst hergestellten, gender-neutralen festen Seifen von Beauty Disrupted sind zu 100 % plastikfrei, und obwohl Flore die Null-Plastik-Politik des Unternehmens auffiel, war es auch das Wesen des Unternehmens, das sie beeindruckte.

“Ich bin wütend auf die Schönheitsunternehmen, die eine begrenzte Definition von Schönheit geschaffen haben. Sie haben uns während meiner gesamten Kindheit eine Gehirnwäsche verpasst, damit wir glauben, wir müssten einer ganz bestimmten Definition von Schönheit entsprechen, vor allem als Frau”, sagt Flore. “Endlich, gibt es ein Unternehmen [wie Beauty Disrupted], das nicht versucht, mir vorzuschreiben, wer ich sein oder wie ich aussehen soll. Sondern das einfach versucht zu helfen.”

Flore vergleicht die ganzheitliche, allumfassende Auseinandersetzung mit Schönheit durch Beauty Disrupted mit dem Reichtum der schönen Charaktere in ihrem Film, die von innen heraus strahlen.

“Bei Schönheit geht es nicht um Perfektion. Ganz im Gegenteil. Sie ist eine Ausstrahlung, ein Licht, eine Präsenz. Wir müssen das Konzept der Schönheit neu überdenken, und das ist etwas, was Beauty Disrupted versucht, voranzubringen”, fügt Flore hinzu. “Schönheit ist überall.”

Und Flore sieht sie überall, trotz der ernsten Themen, die sie in ihrer Arbeit anspricht. Ihre Bücher – von politischen Wirtschafts Thrillern bis hin zu ihrem jüngsten Buch “Ce qu’il reste de nos rêves“, das den Weg des Internet-Wunderkindes und Hacktivisten Aaron Swartz erforscht – sowie ihre Filme und Artikel tragen dazu bei, dass ihr inneres Feuer noch heller brennt. Die Menschen, denen sie begegnet, die Geschichten, die sie erzählt, reflektieren alle ihr Warum. Wenn man sie darüber sprechen hört, spürt man ihre Flamme, ihre eigene kraftvolle Schönheit, die hell brennt und die wiederum das Feuer in anderen entzündet.

Karyn Miller Writer

Karryn Miller is a native of Auckland, New Zealand, for whom “home” has also meant Tokyo, Hanoi, Mumbai, Seoul, and Washington, DC. As a hotel public relations consultant with a passion for travel, she has also published pieces in dozens of travel books, magazines, and newspapers around the world. Most recently, together with a global collective of mothers, she co-authored the book Mother Wild, and launched a series of wellness retreats. In 2021 Karryn relocated with her family to the second snowiest city in the world, Sapporo, on the island of Hokkaido in northern Japan.

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